REISETAGEBUCH
Auszüge aus meinem Reisetagebuch
Tunel
Hier, bei Tunel, steht Tsend's Jurte, wo wir zunächst einige Tage bleiben wollen.
Die lange Fahrt hierher war und ist wirklich Teil der Reise und wir wollten ja auch auf dem Landweg (von Ulaanbaatar) dorthin.
Wenn man die Hauptstadt verlassen hat, ist man wirklich draußen und dann ist Schluß mit Stadt. Sofort beginnt das will sagen "unschuldige" Grasland, das in sanften Hügeln sich bis zum Ende der Welt hinzuziehen scheint. Den Kühen dampfen die Nüstern, wie sie zusammen übers morgendliche Land gehen und frühstücken. Die einzige bescheidene Straße liegt als schwarzes Band vor uns, einfache Strommasten begleiten sie zur Linken und dann kommen wirklich nur noch einzelne freistehende Jurten mit hellen Rauchsäulen, drumherum das Vieh, frei umherlaufend: Kühe, Pferde, Ziegen mit kräftigen Hörnern, prachtvolle Yaks. (...)
24 Stunden Fahrt nahezu non-stop über schlechte Teerstraßen, über Pisten, die allerschlechteste Feldwegqualität haben, wenn sie überhaupt befahrbar sind. Das permanente Geschaukel und Gehopse ist kein Genuß, aber dafür erhält man vollen Lohn mit dem Blick aus dem Fenster. Die Landschaft ist absolut umwerfend, wenn auch auf Dauer durchaus ein wenig eintönig, aber: man muß halt die Augen aufsperren.
Wir waren schon den ganzen Tag unterwegs gewesen, da wirbelte der Wind mehr und mehr Sand auf und verwandelte sich in einen richtigen Sandsturm. Das kam vollkommen überraschend. Der Sand bildete dichte braune Wolken, die uns einhüllten, so daß wir manchmal stehen bleiben mußten; sie gaben aber immer wieder den Blick frei auf die saftig grünen Hügel rund herum, das gab dem Ganzen etwas Skurriles. Zwei schöne Reiher hatten alle Mühe, sich am Boden zu halten und dem Sturm zu trotzen. Der Sand drang durch sämtliche Ritzen auch in unser Auto.
Derselbe Wind muß es wohl gewesen sein, von dem die beiden Deutschen später erzählen, er hätte die Jurte buchstäblich hoch heben wollen, so daß sie von außen sich festklammern, die Dachdecken und die ganze Jurte selbst festhalten mußten.
Wir fuhren, fuhren und fuhren, bis schließlich die Sonne mit viel Licht und rotem Widerschein versank, das war kurz nach der Uigurenruine von Baybalek, fuhren, fuhren und fuhren. Im allerletzten Abendlicht liefen Kinder von einer Jurte kommend eilig auf unseren Wagen zu. Sie hielten etwas in die Höhe. Wir hielten an, um die Sache zu inspizieren. Es waren geköpfte Plastikflaschen, die mit Walderdbeeren gefüllt waren. 900 Tugrik wollten sie, das sind umgerechnet etwa 90 Cent. Wir kauften eine Portion, es war bestimmt ein halbes Kilo. Sie schmeckten köstlich!
Unsere beiden Fahrer hielten immer wieder an: Aussteigen, pinkeln, Seite wechseln, wieder einsteigen. Wir versuchten in verschiedenen Stellungen zu schlafen, aber es war mühsam, weil wir ständig umhergeworfen wurden. Draußen lag eine Hügellandschaft nach der andern im Mondlicht, es ging weiter und immer weiter, obwohl man wohl wußte: es sind noch einige hundert Kilometer, dachte man: wir müssen doch irgendwann da sein!!
Und schon wieder das Rot der Sonne! Da endlich sahen wir die Häuser von Moron, da endlich hielten wir. Verschlafen wankten wir ins Haus von Erkas Bruder - es war etwa sechs Uhr - seine Frau schenkte uns Tee ein und stellte Brot und Rahm auf den Tisch. Wir frühstückten und legten uns dann für zwei Stunden hin. (...)
Nach dem Einkauf in Moron fuhren wir zum Pferderennen. Schon auf dem Weg sahen wir Reiter in Grüppchen dorthin reiten. Auf einem Hügel standen Jeeps, Kleinbusse und Lastwagen, aber das Gros war auf Pferden gekommen: so ist man mobil, hat immer einen Sitzplatz und kann von oben aus alles sehen. Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder: alle reiten. Samt Pferd streunt man umher, plaudert, guckt, kauft sich Eis. Einzelne Leute bieten Waren feil oder kochen Tee und Essen.
Die Zuschauer hatten hinter einer Absperrung ein Spalier gebildet - die Reiter wurden erwartet:
Wenn dann die Staubwolken am Horizont zu sehen sind (die Strecke geht über 20 km), kommen schnell alle zur Zielgeraden, um die kleinen Jockeys einreiten zu sehen, Kinder, nicht älter als 10-12 Jahre, ohne Sättel, teilweise barfuß im gestreckten Galopp. Ein Jeep fährt knapp vor ihnen, die mongolische Fahne aufgesteckt. Wenn der Sieger angekommen ist, bildet sich ein Pulk, denn jeder möchte das Pferd berühren, seinen Schweiß auf den eigenen Körper auftragen, das soll Glück bringen. Das Schweizer Pärchen, welches wir später in der Jurte treffen, erzählt, als sie ein anderes Pferderennen sahen, da ist ein Pferd beim Lauf ins Ziel umgefallen und gestorben - zu erschöpft vermutlich. (...)
Zum Ringkampf fuhren wir dann mit dem Bus, denn es war regnerisch (ursprünglich war ein Ritt geplant). Dort: Durch Palisaden ein abgegrenztes Viereck, an den Längsseiten überdachte Zuschauertribünen, Lautsprecher, davor: die mongolische Flagge hoch im Wind, rechts und links Bänke. Die Ringer sind nackt bis auf die spärliche, prachtvoll gearbeitete Ringertracht. Die Füße stecken in reich verzierten traditionellen Stiefeln. Nur wenige der Ringer sind fett oder massig, die meisten eher dünn. Zu zweit oder zu viert kommen sie von der einen Seite, den Hut noch auf dem Kopf. Ein Helfer oder Schiedsrichter hält ihren Hut, solange sie ringen.
Wenn sie sich gegenüber stehen, kann es eine Weile dauern, bis sie sich überhaupt gepackt haben, denn darin scheint schon die erste Schwierigkeit zu liegen. Die Kämpfe dauern manchmal nur zwei, drei Minuten, manchmal eine viertel Stunde oder länger. (...)
Außerhalb der Umzäunung parken Pferde und Autos. Viele Besucher sind auf Pferden unterwegs oder genießen den Kampf von außerhalb des Zauns aus dem hohen Sattel. Etwa fünf Jurten und eine Anzahl kleiner Zelte sind aufgebaut, dort kann man einkehren, was wir natürlich auch tun. Auf dem traditionellen Ofen wird köstliches Essen gekocht: große frittierte Maultaschen, Reis mit Gemüse, Suppen, auch gibt es Salat. Es kostet fast nichts: zwei kleine warme Mahlzeiten: 90 Cent, der Tee: 5 Cent. Nach den Ringkämpfen findet die Siegerehrung der kleinen Jockeys statt. Mit ihren grellbunten Nummernkittelchen reiten sie, ein jeder in Begleitung eines Erwachsenen im Kreis und rufen dabei laut, wirken aber bei allem Stolz eher schüchtern und verhalten, sie sind ja so klein! (...)
Bei Tsend's Jurte
Es ist zum Nachmittag hin wieder sonnig und weitgehend klar geworden, da sitzen die Kinder am Fluß oder tollen umher, die großen Mädchen helfen ein wenig im Haushalt, die Mutter lehnt am Kälbergatter von der einen Seite, die Nachbarin genauso lässig an der andern und sie plaudern. Die winzigen Kälber und das allerkleinste, ein schneeweißes Yak-Baby, gehen umher und balgen sich oder sie liegen einfach nur da. Die späte Sonne blendet uns und flutet in die ganze Ebene, die sich zu beiden Seiten in die Hügel verliert. Dort grasen Kühe und auch die große Herde mit Schafen und Ziegen. Vor vier Jahren hatten sie den schrecklichsten Winter aller Zeiten, die Hälfte ihres Viehs - hunderte von Tieren - starb. Jeden Tag mußten sie die Dahingegangenen fort tragen, ihre ganze Habe: ein Massengrab.
Ein Sommermorgen in der Mongolei
Man tritt etwas verschlafen vor die Tür der Jurte, den Kopf eben noch voller Träume... und denkt, man träumt weiter. Eine Landschaft liegt da hingebreitet wie in einem mystischen Bild! Das ganze Land ist eine einzige Wiese mit weiten Ebenen und sanften Erhebungen. Es ist nicht nur Gras, es ist auch Wermut, der weit duftet, Blumen in allen Farben, Edelweiß, Butterblumen, Enzian, blauer und weißer Eisenhut, blühender Salbei und tausend andere. Hier schlängelt sich unterhalb der Jurte der Fluß, der viel Wasser führt und großes Tempo hat. Seine Ränder sind mit Bäumen gesäumt. Dort holen wir Wasser. (...)
Das sehe ich
Im Osten sind unsere eigenen beiden Jurten, die von Tsend und die Gästejurte, da hängt auch Wäsche. Es ist ein heißer, weitgehend klarer Tag, zum Glück mit kühlem Wind, nur allerliebste Schäfchenwolken säumen die Horizonte, nicht weit dahinter ist eine weitere Jurte, mit Viehgehege für Jungtiere daneben und dann kommt die Blockhütte des Nachbarn. Hinter den Häusern streckt sich eine Wiese, die direkt in den Himmel übergeht, im Norden verliert sie sich in hohe Hügel, auch grün bis zur Spitze, einige Nadelbäume sind zu erkennen, sie säumen den uns abgewendeten Teil der Hügelspitzen und tatsächlich enden hier die Hügel in Spitzen.
Die nahe der Häuser angebundenen Pferde schlagen unentwegt mit ihren Schweifen auf Hinterbeine und Rücken, ständig schütteln sie den Kopf, weil die Bremsen ihnen zusetzen. Folgt mein Blick dem Gras- und Wiesenland, dann sehe ich bald die große Schaf- und Ziegenherde, gut hundert Stück, sie halten sich meistens dort drüben auf und zerstreuen sich nicht. Nach langen, grünen Flächen kommt wieder eine Ansammlung brauner, schwarzer, grauer und weißer Farbtupfer, höchstwahrscheinlich Kühe und Yaks. Auch die Kälber der Kühe und Yaks, entzückende kleine Tiere mit Fell wie Lämmer ziehen wie Jugendcliquen umher.
Dort ganz weit hinten erkenne ich noch eine Jurte, hinten endet alles in hohen Hügelzügen mit Grasland und Fels.
Jetzt schauen wir schon nach Westen, dort sehe ich die bewaldeten Hänge. Hinten stehen zwei, drei Blockhütten in einigem Abstand zueinander, vor einer dreht sich ein Windrad und gleich daneben steht - ratemal! - eine Satellitenschüssel. Dorthin geht man, um die Sumu-Ringkämpfe anzusehen. Unter den Sumukämpfern, sagen sie uns, gehören die Mongolen zu den Weltbesten. Auch dort sehe ich die angebundenen Pferde mit dem Schweif schlagen.
In der Luft schwirren riesige Heuschrecken umher, die laut schnalzende Töne von sich geben, daneben gibt es in der Wiese eine Unzahl weiterer kleiner Heuschrecken. Bei jedem Schritt, den man macht, springen sie zu allen Seiten davon.
Den ganzen Tag - und es ist schon später Nachmittag - war erst ein einziger Wagen unterwegs und auch erst ein Motorrad. Alle anderen Leute reiten auf Pferden, man hört sie schon von Ferne, wie die Hufe auf dem Boden dröhnen, im gestreckten Galopp ihrem Ziel entgegen.
Eben hat ein junges Mädchen auf dem Pferd reitend die Kälber zusammen getrieben, sie trennten sich von den Ziegen, neben denen sie gelagert hatten, und gingen eher widerwillig, hier und da noch ein Kräutchen zupfend davon.
Jetzt hat sich von Osten her eine riesige Kuhherde genähert: schwarze, braune, weiße, gescheckte. Die Tiere gehen zum Fluß und trinken. Es ist so ruhig hier, nur ein paar Vögel, Heuschrecken und Fliegen, das Vieh, die Menschen, der rauschende Fluß - kein Motor, kein Flugzeug, kein Krach.
Die Mutter verwöhnt uns dreimal am Tag und zaubert irre Speisen aus der frischen Milch (Milch aus glücklichen Eutern!). Der Sohn fängt ab und zu Fische, so gibt es auch etliche Abwechslung. Er hat uns das Fischen auch beigebracht. (...)
Das Melken
Nachmittags waren die Ziegen dran. Mama und ich standen mit zwei kleinen Mädchen inmitten der Ziegen und Schafe. Sie zeigten uns, wie man in Hockstellung hinter das Tier tritt, den Eimer vor sich stellt, wie man die eine Hand hinter das Euter legt und mit der andern melkt. Dazu taucht man Daumen und Zeigefinger in die Milch und streicht dann mit beiden Fingern und großem Druck das Euter von oben nach unten. Das Eintunken der Finger in die Milch wirkt Wunder, ich probierte es selbst aus. Erst kommt die eine Zitze mehrmals dran, dann die andere. Ziegen- und Schafsmilch wird gemischt.
Das mit den Ziegen ging ja noch, aber abends dann bei tröpfelndem Himmel die Yaks! Das war eine Gaudi! Die Nachbarin war mit dem Melkschemel da und sie und alle ihre Töchter und Enkelinnen trugen den Deel, Mama kam im Regencape. Aber am Schluß war mehr Milch darauf als Regen. Während bei den Mädchen literweise die Milch in die Eimer floß, war es bei Mama trotz allem Drücken und Ziehen nur eine winzige Pfütze. Die Frauen lachten sich schief und wir auch. So wurde Mama zu einem echten Unterhaltungsfaktor.
Die Regenwolken samt Abendsonne zauberten stimmungsvolle Bilder und zur Krönung gab es nach dem Melken einen gewaltigen leuchtenden Regenbogen.
Die Dämmerung dauert sehr lange, um elf ist es noch nicht ganz dunkel - es ist phantastisch! (...)
Um sieben standen wir auf, pünktlich um acht war Frühstück bei der Familie. Um neun begann das Aufladen, da sahen wir nur zu. Auch Mutter und Enkel saßen im Gras und auf den Sätteln und sahen zu, als das Packpferd hoch aufgeladen wurde. Das ist natürlich das Schwierigste, aber wir hatten am Tag vorher - trotz Fischen, Ziegen melken, Fische schuppen und Yaks melken - logistische Höchstleistungen erbracht, was das Packen anging.
Denn man sollte sich gut überlegen, was in welche Tasche kommt. Ans große Gepäck kann man unterwegs nicht ran, also braucht man eine Art Tagesrucksack oder besser noch: eine "Wurst", in die man alles packt und die man sich um den Bauch binden oder hinterm Sattel befestigen kann wie einen zusammengerollten Deel. Nichts darf auf den Rücken des Pferdes drücken. Und: wir wollen ja immer ein paar kleine Geschenke parat haben, falls jemand uns in seine Jurte einlädt und uns mit Tee und Käse oder Rahm bewirtet. (...)
Das Reiten klappt prima, anders als befürchtet. Der russische Sattel ist bequem, die Pferde sind folgsam und leicht zu führen. Nur muß man ab und zu ein wenig Gymnastik machen, die Beine aus den Bügeln nehmen und baumeln lassen. Die Haut am Sitzfleisch pflegen wir mit Hirschhorn und Sanddornöl - das scheint zu helfen! Und: "Antibrumm" hält Fliegen und Bremsen fern. Zumindest von uns. Die Pferde dagegen werden arg geplagt.
Da, wo die Menschen mit ihren Herden wohnen, ist das Gras recht kurz, dort aber, wo niemand lebt und auch kein Vieh vorbeikommt - und wir sind mehrfach stundenlang geritten, ohne jemandem zu begegnen - dort stehen Blumenwiesen, wie man sie vermutlich auch im Paradies findet, von einer Schönheit, die einem schier den Atem stocken läßt: Blumen in allen Farben, verschiedene Blau- und Violett-Töne, rote, gelbe, weiße, ganze Teppiche aus Astern, Edelweiß als Bodendecker, duftende Kräuter, Blumen, Blumen, Blumen wohin auch das Auge blickt. Über ihnen wiegen sich zarte Gräser im Wind. Darinnen zirpt und surrt es und bei jedem Schritt, den unsere Pferde tun, spritzen die Grashüpfer regelrecht hoch, in hohem Bogen, wie Hagel, der auf harten Boden fällt, es ist wirklich zu drollig. Dazwischen die Bauten kleiner, hellbrauner, possierlicher Tierchen, die aufgeregt davon springen, wenn sie uns nur aus der Ferne wahrnehmen, mit hochgestelltem Schwanz flink über die Wiese und ab ins Loch. (...)
Vom Schreiben
Sitzen wir nicht gerade auf Pferden, also, wenn wir uns an den Lagerplätzen befinden, ist so viel zu tun, daß wirklich kaum Zeit zum Schreiben bleibt: abladen, absatteln, Holz suchen, Wasser holen, Feuer machen, Feuer am Leben halten, den Topf kontrollieren, Tee kochen, Essen kochen, Zelt aufbauen und dann will man ja auch mal sich und die Wäsche waschen; Klo gehen, knipsen. Schon wieder Feuer machen, Wasser holen, Fischen gehen - wenn man dann mal Zeit hat, weiß man nicht, was man als erstes beschreiben soll - oder möchte lieber ein wenig faulenzen. (...)
Die Jurte
Was alles gehört zu einer Jurte? Zunächst mal natürlich Hausherr und Hausherrin, wobei letztere gewiß öfters zu Hause ist als er, und eine Schar Kinder, zwei, drei mindestens. Die Jurte selbst besteht aus dem klappbaren Holzgerüst und den Filzdecken, der Plastikplane und der großen weißen Baumwollplane, die über alles darüber gelegt und mit zwei dicken Seilen ringsum und weiteren Seilen, die senkrecht zum Dach laufen, festgezurrt ist. Der alleroberste Teil am Dachrund ist klappbar und wird verschlossen, wenn es regnet, steht ansonsten aber offen. Dort schaut das Ofenrohr heraus, dort kommt Licht herein.
Der Ofen steht in der Jurtenmitte. Unten kommt das Holz hinein, über dem Feuer ist ein großes Loch. Auf dem Loch ruht entweder ein Deckel, der es ganz abdichtet oder aber die große Kochschüssel, in der alles was gekocht wird zubereitet wird, vornehmlich die Mahlzeiten und all die Milchprodukte. Sie wird aber auch als Spülbecken genutzt. Die hölzerne Tür zur Jurte ist tatsächlich so niedrig, daß man sich bücken muß und wir wissen, daß es sich schickt, den Kopf als erstes hinein zu stecken und bloß nicht auf die Schwelle zu treten. Wie man es aus Beschreibungen kennt, folgt ab der Tür rechts geguckt das Hausutensil, also der riesige Wasserpott, der aus den Flüssen gefüllt wird und all das Küchengerät, Küchenschränke mit Geschirr und Lebensmitteln und weiterer Hausrat, daneben der Hausaltar. Das kann auch nur ein kleines Buddha-Bild sein mit einem winzigen Behälter davor, in dem ein Stück Hartkäse und etwas Gebäck liegt. Räucherstäbchen.
Oft findet sich dort in der Nähe auch eine Abbildung des Dschingis Khan (es existiert wohl nur eine, sie ist auch auf den Geldscheinen aufgedruckt) und was auf keinen Fall fehlt: Die Photogalerie: Zwei große Rahmen, in denen Bilder der Familie angeordnet sind. Die Eltern oben, ordentlich in Pose beim Photographen, dann die restlichen Familienangehörigen, auch bei Ausflügen und Reisen, alte und neue Bilder. Neben dem Hausaltar, das ist dann genau gegenüber der Tür, ist der Platz des Hausherrn, meist ein Bett, in dem er vielleicht auch nachts schläft, tagsüber jedenfalls darauf sitzt.
An der linken Seite können dann noch weitere Möbel folgen, Betten, auf denen Gästen ein Platz zugewiesen wird. Manchmal haben sie eine Schnur, an der ein Vorhang aufgezogen werden kann, wenn es so weit ist, oft sind diese Betten mit prachtvollen Kissen und Decken geziert. Neben Bett, Schränken oder Truhen kommt dann schließlich links der Tür das Pferdeutensil.
Man wundert sich jedenfalls, wie in einer so kleinen Jurte so viele Dinge Platz haben können, alles, alles, was man zum Leben braucht und dann noch Platz für fünf oder zehn Leute, die im hinteren Teil nachts Matten breiten und dort schlafen.
Die Jurten stehen direkt auf der Wiese und nicht in allen ist die Wiese abgedeckt durch einen abwischbaren Boden und Teppichen darauf.
Vor jeder Jurte gibt es zwei Pfähle, die oben spitz zugeschnitzt sind. Hat man nur eines oder wenige Pferde anzubinden, tut man das dort, sind es mehrere Pferde, spannt man dazwischen ein Seil und bindet die Pferde daran fest. Vor den Jurten stehen einfache hölzerne Karren. Auf ihnen wird, ein Pferd oder eine Kuh vorgespannt, Wasser aus dem Fluß geholt oder aber die ganze Jurte zusammengeklappt transportiert, wenn man umziehen möchte.
Zu jeder Jurte scheint ein Hund zu gehören, er wohnt aber draußen im Freien und kündet mit lautem Kläffen jede Ankunft von Leuten oder ungewöhnlichen Tieren. Das kann unter Umständen gefährlich werden für Gäste, denn viele mongolische Pferde sind scheu und erschrecken ordentlich ob solcher Begrüßung und auch ich wäre das eine oder andere mal fast herunter geplumpst, als meine erschrockene Schimmelstute einen Satz machte. Deshalb ruft ein Ankömmling als erstes: haltet die Hunde!
In einigem Abstand zur Jurte befindet sich das Plumpsklo und ich habe selten in derart romantischer Atmosphäre diese Geschäfte verrichtet, mit Blick auf die weiten, grünen Hügel und das darauf weidende Vieh, der endlose Himmel. (...)
Nach vier Tagen: Am See!
Im Visitor-Center in Hatgal müssen wir 3000 Tugrik (entspricht 3 Euro) Nationalparkgebühr pro Person bezahlen.
Hinter Hatgal kommen wir auf bewaldete Hügel mit grünen Wiesen, auf denen die Lärchen weit verstreut stehen, wenn sie nicht schon abgesägt sind, um für den Bau neuer Gästehäuser zu dienen. Die Touristen wohnen hier - wenn sie nicht zelten - in Hoteljurten oder Blockhütten. Tafeln informieren über die Infrastruktur und das Freizeitangebot: Dusche, Sauna, Wäscherei, Restaurant & Bar, Pferde reiten, Ausflüge zu Rentierzüchtern, Tennis(!). Dazwischen leben versprengt ein paar Einheimische, ebenso in Jurten oder Blockhäusern. (...)
Die Waldlichtung
Hinter uns: zarte Lärchen in hellem Grün, wir: auf einer üppigen Wiese mit Tausenden von herrlich bunten Blumen und saftigem Gras; wir beginnen, zu kochen. Neben uns grasen in aller Gemächlichkeit die Pferde. Vor uns liegt der See gebreitet und hat auf seiner Oberfläche alle Blautöne. Wenn man von hier aus in das Wasser blickt, sieht man regelrecht die Fische umher schwimmen, hinter uns errötet die Sonne samt Wolken.
Unser Blick geht so weit, daß man sehen kann, wie anderswo das Wetter ist. Das Gewitter, das eben noch südlich vom See niedergegangen ist und dessen Grollen bis zu uns drang, zieht nun östlich vom See davon. Die Wasseroberfläche ist still, nur wenn drüben das Schiff kommt, kräuselt sie sich. Richtung Norden sehen wir den See mit dem Himmel verschmelzen. Möwen fliegen umher und stoßen Rufe aus, die wie eine Mischung aus Klageruf und Kindergeschrei klingen, große, stattliche Vögel mit prachtvollem, weißen Gefieder.
Nachts werden sich die Sterne im See spiegeln.
Das Wetter war die ersten fünf Tage freundlich, sehr freundlich sogar und so ritten wir, fröhliche Liedchen vor uns hin trällernd, dahin, gemeinsam mit den Lerchen und Elstern, Huf um Huf über satte Matten, über Felder aus bunten Blumen, prächtige Farben und alles so üppig, dazwischen plätschern liebliche kleine Bächlein dahin, im Sonnenschein glitzernd, die Tiere laben sich daran fast gemeinsam mit den Menschen, platsch platsch gehts hindurch, Täler entlang, Hänge hinauf und hinunter, an Baumgruppen vorbei, hier und da eine Jurte, das Vieh: hunderte von Kühen und Yaks in allen Farben, hunderte von Ziegen in allen Farben: graue, braune, weisse, schwarze, gescheckte - Pferde in Herden wie auf den Postkarten, die man als Mädchen sammelt, herrliche Düfte von den Salbei- und Wermutkräutern, von den Blumen, den Bäumen und - duften nicht auch die Pferdeäpfel, die alle halbe Stund zu Boden plumpsen?
Mittags ausgiebige Pausen an Bächen oder Flüssen, im hohen Grase liegend, wenn das Süpplein gekocht und auch der Tee schon getrunken ist, abends: Lagerplätze unterm Sternendach, inmitten des weidenden Viehs, welch herrliche Eintracht! Sich am Fluss waschen, lagern wo man möchte, Fische fangen, wie sie da im Wasser schwimmen - das nenn ich Freiheit! (...)
Vor unserer letzten Nacht am Spätnachmittag erwischte uns nochmal ein ordentliches Gewitter. Seit Stunden schon hatten Wolken in allen Blau-, Grau- und Schwarztönen sich am Himmel getümmelt und zogen an den Horizonten umher, dazwischen gab es weiße Wolken oder einen Fetzen blauen Himmel. Die Regenwand die uns erreichte kam aber ganz plötzlich, grau, über den Wald, in einem Riesentempo, Blitze, Donner. Da hieß es schnell anhalten und die Regencapes überziehen. Als ich mir nur die Hose anzog, spürte ich schon die ersten Tropfen, bei den Jacken vertat ich mich dann und zog sie in der falschen Reihenfolge an und auch Mama hatte sich irgendwie verheddert oder war zu spät - schon prasselte es auf uns nieder: Hagelkörner, groß wie Kichererbsen. Die Pferde standen seelenruhig, das Haupt leicht gesenkt, geduldig, als wüßten sie, daß man das über sich ergehen lassen muß. Vielleicht fühlte sich der Regen auch schön an auf dem Fell, das wissen wir nicht (if I were a horse...). Einige Zeit verharrten wir alle ruhig, Pferd und Mensch, regungslos, während das Gewitter über uns tobte.
Als wir wieder aufschauten, sahen wir einen Mann auf dem Rad die Piste entlang kommen, einen Hund hinterher. Auf der Piste strömte nun das Wasser in braunen Bächen.
Der Mann schob sein Fahrrad neben uns her, während wir den Wald hinauf ritten. Natürlich träumten wir von warmen Häusern und Jurten, aber wir wußten, daß wir das alles anders durchstehen mußten: unter freiem Himmel. Wir behielten unsere Träume für uns.
Weil wir schneller waren als der schiebende Radler, blieb er langsam zurück und wir sahen ihn erst wieder, als wir, am Owoo vorbei den Berg wieder hinunter gekommen waren und schon abgeladen hatten, drauf und dran waren, Lager zu beziehen. Es war kalt, wir waren teilweise naß, das Holz würde naß sein, das Wasser in den Bächen aufgewühlt und schlammig. Wärme aber war das einzige, was wir wollten, das wichtigste, das wir brauchten. Ach! dachten wir ein wenig resigniert. Aber da kam der Unbekannte schon mit riesigen Stämmen aus dem Wald heraus. Während wir unsere Lager errichteten legte er die Hölzer nach einem bestimmten System zusammen, löste trockene Späne aus dem Innern der Äste und begann, ein Feuer zu entzünden. Schon nach wenigen Versuchen gelang es ihm. Zwischen zwei ums Eck gelegten Stämmen war sein kleines Feuer, überdacht mit großen Holzstücken, die er so trocknete. Innerhalb kürzester Zeit fingen alle Stöcke, die er aufgelegt hatte, Feuer, und die Flammen flackerten fast meterhoch. Ich stellte mich davor und hielt meine patschnass gewordene Jacke ans Feuer, so daß sie flugs trocknete. Mein Körper war bald so erhitzt, daß ich den kühlen Wind, der eben noch mein Todfeind war, als angenehme Brise empfand. Plötzlich waren wir im siebten Himmel! (...)
...die Pferde wurden wieder von der Herde begrüßt und aufgenommen, sind wieder draussen in Freiheit, und sollen nun, anstatt Touristen mit ihrem Gepäck umherzuschleppen, sich Winterspeck anfressen, adieu, ihr Lieben!
Und: Vielen vielen Dank an Erka und ihre ganze Familie für unvergeßliche Tage und wunderbare Gastfreundschaft!!
Katrin Biallas
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