GRENZENLOSE WEITE
Zwischen Yaks, Jurten und grenzenloser Weite
Abseits pauschaltouristischer Pfade das Leben der mongolischen Nomaden kennenzulernen und aktiv daran teilzuhaben war ein Traum von mir seit einer Ausstellung über die Mongolei in Hildesheim vor über 10 Jahren.
Durchs Internet fanden wir den Kontakt zu Erka, die in Hamburg studiert und als Bindeglied zwischen ihrer mongolischen Familie alle unsere Wünsche vermittelte. Ein günstiger Nachtflug der russischen Aeroflot brachte uns über Irkutsk nach Ulan-Bator. Auf den eineinhalbstündigen Weiterflug nach Moron verzichteten wir. Wir wählten lieber die landestypische Fortbewegungsart mit einem Jeep und Fahrer auf den buckeligen "mongolischen Highways" durch eine faszinierende, karge Steppenlandschaft. Ein luftgefülltes Sitzkissen milderte die Strapazen für den Hosenboden dabei erheblich. Der herzliche Empfang bei unserer Familie ließ diese Strapazen schnell vergessen.
Für unser mehrwöchiges Nomadenleben stand eine eigene Jurte bereit, die liebevoll mit Teppichen, sogar zwei Betten ausgerüstet war. Der Ofen in der Mitte fehlte ebenso wenig wie der "Hausaltar" und die Familienbilderwand. Die obere Öffnung für den Rauchabzug und die hochgeklappten unteren Filzwände ermöglichten einen kühlenden Luftstrom, der das Klima in der Jurte selbst in der Mittagshitze angenehm werden ließ. Die nächsten drei Wochen nahmen wir teil am nomadischen Alltag. Ich lernte die Kühe, die Yaks, die Schafe und Ziegen zu melken, eine der Hauptaufgaben der Frauen und Mädchen. Das Feuermachen, welches eigentlich auch Aufgabe der Frauen ist, überließ ich lieber meinem Mann, dem geübten Pfadfinder, der im übrigen fotografierte und Bücher über die Mongolen las.
Die Essenszubereitung erfolgt auf dem Fußboden in der Hocke, für uns Ungeübte doch etwas gewöhnungsbedürftig. Auf diese Weise lernte ich die saftigen "Buuds" oder "Huuschuur" herzustellen. Mit Fleisch oder Fisch gefüllte Teigtaschen, die ersteren gedämpft, die zweiten in Fett gebraten. Einerseits wurden wir verwöhnt mit typischer mongolischer Kost, andererseits nahm Chandaa auf unsere europäischen Mägen Rücksicht. Es gab viel Suppe und das für Nomaden eher seltene vom Markt mitgebrachte Gemüse. Die Durchfalltabletten, sowie alle anderen Medikamente, brauchten wir jedenfalls nicht. An den Milchtee, den wir zu allen Tageszeiten bekamen, konnte ich mich nicht so recht gewöhnen. Aber als eingefleischter Kaffeetrinker brauchte ich auf den Nescafe auch nicht zu verzichten. Der nahe Fluss war für uns ein wesentlicher Bestandteil unseres Alltag-Lebens, zum Trinken, zum Waschen, zum Kühlen, zum Fischen. Der größte Fisch, von Zolboo gefangen, maß in der Länge 1,09 m.
Pferde haben bei den Nomaden zwischen all ihren Tieren den höchsten Stellenwert, trotzdem vermißte ich eine engere Beziehung zu ihnen. Ich erlebte ein ziemlich raues Leben und Miteinander. Ein Vergleich in der Haltung zwischen Deutschland und dort lässt sich nicht anstellen. Dazu sind die Gegebenheiten zu unterschiedlich. Wenn Mensch und Tier mit den Naturgewalten einen Überlebenskampf führen, herrschen andere Gesetzmäßigkeiten als in unserer sicheren westlichen Welt. Aber ich habe großen Respekt vor den mittelgroßen Pferden gewonnen. Bei dürrem Steppengras leisten sie harte Arbeit. In der "Freizeit" dagegen leben sie ihr artgerechtes Herdenleben in der freien Steppe. Drei Wochen lang hatte ich mein "mori" (mongolisch "Pferd") vor der Jurtentür. Täglich konnte ich im Galopp die Weite der Steppe genießen. Er kämpfte sich mit mir durch die starken Strömungen oder kletterte in die Berge. Trotz vieler Murmeltierlöcher im Boden vertraute ich seiner Trittsicherheit und Umsicht und konnte so Weite und Wind genießen. Für Reitfans ein Paradies.
Ich schloss nicht nur die unermüdlichen Pferde in mein Herz, sondern auch die mongolischen Kinder. Schon von klein auf werden sie in die tägliche Arbeit einbezogen. Neben dem Einsammeln des Dungs zum Feuern obliegt ihnen das Hüten und Melken der kurzbeinigen Tiere: Schafe und Ziegen. Ohne nachhaltige Aufforderungen der Erwachsenen nimmt die Vierjährige ihre Milchkanne, setzt sich hinter die Ziege und beginnt zu melken. In den drei Wochen hörte ich kaum einen Erwachsenen umher schreien oder mit den Kindern schimpfen. Nur selten wurde ihnen etwas verboten. Man sagte mir, wenn wir den Kindern alles richtig vormachen, lernen sie auch nichts Verkehrtes. Dadurch sind sie meist fröhlich, zufrieden und unbeschwert. Zwischen den Aufgaben bleibt genug Zeit zum Spielen. Sie nehmen das, was da ist. Stöcke, Steine, Schafsknochen. Ein umherziehendes Volk kann sich keine überfüllten Spielzimmer leisten.
Wir waren abseits pauschaltouristischer Hotels und Pfade. Wir nahmen teil am Leben der Nomaden, ihrem Alltag und ihren Festen. Das war so nur möglich, weil auf alle unsere Wünsche selbstverständlich und prompt eingegangen wurde. Das verdanken wir Erka und ihrer Familie. Bei einem der üblichen Reiseveranstalter wäre es niemals ein derart privater, erlebnisreicher und trotzdem preisgünstiger Urlaub geworden. Dafür sagen wir allen, die dazu beigetragen haben, "Danke".
Elke Voßberg
|